Prof Schuh E Go Life AG

Interview mit Elektroauto-Visionär Prof. Dr. Günther Schuh – „Mein Rat: Wir sind das Land der Netzwerke“

Wie gelingt es im Innovationsnetzwerk auf dem RWTH Aachen Campus, Elektromobilität zu entwickeln, die Spaß macht und bezahlbar ist? Mit dem StreetScooter entwickelte Prof. Dr. Günther Schuh in einem Netzwerk von Industriepartnern den E-Transporter der Deutschen Post. Das aktuelle Projekt des RWTH Aachen Professors und Unternehmens ist der Cityflitzer e.GO Life.

publish-industry: Herr Professor Schuh, wie kamen Sie auf die doch disruptive Idee, ein E-Fahrzeug für Kurzstrecken zu entwickeln?

Prof. Dr. Schuh: Eigentlich durch die Fragestellung: Ist es überhaupt möglich, schon heute ein bezahlbares Elektroauto zu bauen? Durch diese Frage kommt man automatisch darauf, denn nur mit einer kleinen Batterie und mit einem kleinen Akku kann das bezahlbar umgesetzt werden. Insofern war die Hypothese nicht wie wir ein cooles Stadtauto entwickeln können. Sondern auch die Schlussfolgerung daraus, was mit den heutigen technischen Elementen, Powertrain-, Batterie-, Fahrzeugkonzept am ehesten so umgesetzt werden kann, dass der Nutzen für den Kunden zum Preis passt. Und ich glaube, dass ein Teil des bisher noch nicht erfolgten Durchbruchs in der Elektromobilität schlicht daran liegt, dass es zwar tolle Fahrzeuge gibt, die aber im Verhältnis zum Nutzen und auch der Reichweite noch nicht zum Preis passen.

publish-industry: Brauchen Industrieunternehmen einfach mehr Mut destruktive Ideen, abseits vom Kleingeschäft, zu entwickeln? So haben Sie es ja auch gemacht.

Prof. Dr. Schuh: Da muss man die etablierten Unternehmen schon in Schutz nehmen. Die können halt sich eben nicht erst auf die Nische von der Nische begeben, sondern müssen sich bereits zuvor relativ sicher sein, dass ihr Segment groß genug ist. Und deswegen brauchen sie immer wieder andere, solche wie uns, die ihnen bei der Suche helfen, was die richtigen Settings und die richtigen Produktportfolios im Markt sind – die eben einfach mal so etwas ausprobieren. Denn erst dann, wenn sich herauskristallisiert, was der Markt tatsächlich will und was er hergibt, werden die Großen darauf einsteigen.
Insofern ist meine große Hoffnung nicht nur, dass wir mit unseren Produkten Erfolg haben, sondern auch dass wir dazu beitragen, dass zum Beispiel das Marktsegment der kleineren Innenstadt mit reinen Elektroautos vom Kunden sowie Markt als attraktiv angesehen wird. Aber schlussendlich eben auch von den großen Playern, sodass sich diese auch in dieses Segment begeben.
Wir unterscheiden uns im Moment in der Markterwartung total. Ich glaube die Autoindustrie denkt, dass es so ein bis zwei Prozent des PKW-Marktes wären, der eben diese A-Null-Klasse von Elektrofahrzeugen ausmacht. Ich glaube aber, dass es fünf bis zehn Prozent wären, in Deutschland sind das etwa 400.000 Neuwagen pro Jahr, wenn es das Angebot gäbe. Wenn wir dazu beitragen, dass die Nachfrage so groß wird ist das zwar cool, aber wir könnten diese gar nicht selbst bedienen. Wir können dann vielleicht 30.000 e.Go Life anbieten, aber wer baut dann die anderen 370.000 Autos – allein für den deutschen Markt?

publish-industry: Sie sind mit der Idee Ihres E-Fahrzeugs von traditionellen Automobilherstellern belächelt zu worden. War das mehr Ansporn für Sie oder eher eine Belastung? Welchen Rat würden Sie Unternehmen geben trotzdem dran zu bleiben und an sich zu glauben?

Prof. Dr. Schuh: Das belächelt werden war schon auch ein Antreiber. Ich bin ja nicht mehr der Jüngste und habe schon eine Reihe von Dingen entwickeln und erforschen dürfen, die dann auch ihren Widerhall und ihren Einzug in die Industrie gefunden haben. Das ist für einen Ingenieur-Forscher das höchste Lob. Und wenn man sich dann wieder etwas wissenschaftlich fundiert und logisch ausgedacht hat will man auch, dass es angenommen wird. Wenn man dann ein bisschen belächelt oder einfach auch nicht wahrgenommen wird, ist gerade jemand, der das öfters bereits hingekriegt hat, schon ein bisschen beleidigt. Also würde ich Ihnen insofern recht geben, dass es dann eher ein Ansporn war zu sagen: Jetzt erst recht, schauen wir doch mal, wie weit wir kommen, ob die Etablierten oder wir recht haben.

publish-industry: Sie haben ja ein hohes Wissen und Netzwerk wie die RWTH und das Fraunhofer IPT im Hintergrund. Welchen Rat würden Sie denn einem kleinen Mittelständler geben? Denn wie sie das machen sollen, fragen sich viele Firmen. Die haben ja nicht Ihr Netzwerk und Technologiewissen.

Prof. Dr. Schuh: Doch, eigentlich schon. Also der Rat ist immer: „Wir sind das Land der Netzwerke“. Wir können auf allen technischen Ebenen netzwerken wie kaum ein anderes Land und das frei und nicht hierarchisch sortiert. Wir haben Verbände, die verschiedensten Arbeitskreise und offen agierende Forschungsinstitute, nicht nur Fraunhofer, sondern auch einige andere. Da können alle Mittelständler, kleine Unternehmen, und jeder andere der sich mit Technologien in dem Umfeld befasst, mitmachen. Ich kann nur herzlich dazu einladen bei uns in Stuttgart, München, Karlsruhe, wo immer an diesen Themen gearbeitet wird, sich in die Netzwerke zu begeben und einfach mitzumachen. Das sind letztendlich, was man heute neudeutsch sagt, Learning Platforms. Das schöne ist, auch wir Forscher brauchen durch diese enge Verbundenheit nicht mehr an die Industriepartner rangehen und sagen: „Leute, kommt zu uns, wir wissen es schon. Wir wissen nur ein bisschen, wir haben was Neues rausgekriegt, wir wissen aber noch nicht, ob es wirklich funktioniert. Wir brauchen euch, um das mit euch zu elaborieren und umgekehrt.“ Das ist die Stärke von Deutschland und diesen genetischen Code, der Engineering Valley, ist schon längst da, wir müssen ihn einfach nur noch mehr nutzen.

publish-industry: Das heißt, der Rat an viele deutsche Industrieunternehmen, die ja gewohnt sind, alles selbst zu machen ist, dass sie sich einfach öffnen und Kooperation mit anderen Firmen eingehen müssen?

Prof. Dr. Schuh:  Kooperation sowie Austausch. Ich würde aber sagen, dass sie das schon machen. Ein deutscher Mittelständler ist schon viel mehr als zahlreiche ausländische Wettbewerber gewohnt, diese Vernetzung und Verzahnung auch zu nutzen. Das drückt sich in allen möglichen Formen aus. Insbesondere auch dadurch, dass wir das Messeland sind. Keine andere Industrienation macht im Verhältnis zu ihrem Bruttosozialprodukt so viele Messen, die ja auch wiederum eine Austauschplattform sind. Wir kommen mit unserem neuen Mobilitätsgesamtkonzept für Innenstädte mit einer On-Demand-Software-Plattform-Lösung und gehen damit auf die Messe. Das ist aber ein Verbund von Partnern, die das im Prinzip möglich gemacht haben.

publish-industry: Sie haben Ihre eigene Firma gegründet, um agieren zu können und nicht in Strukturen eingebunden zu sein. Ist das auch ein Rat für Industrieunternehmen, neue, disruptive Ideen eigens dafür auszulagern? Also weg von dem Kerngeschäft, sodass man freier und flexibler arbeiten kann?

Prof. Dr. Schuh: Ja, manchmal muss man das als etabliertes Unternehmen in deutschen Acceleratoren, außerhalb der bisherigen Kernzüge üben, weil sonst organisatorisch kein genügender Freiheitsgrad geschaffen werden kann. Es ist aber eigentlich nur ein Übergangsweg um zu zeigen, dass man es aus den eigenen Kräften doch kann. Das eigentliche Ziel muss es aus meiner Sicht sein, das in der Organisation umzusetzen. Denn wir haben die Leute dazu, wir müssen nur aufpassen, dass wir sie auch genügend befähigen, Entscheidungen auch wirklich treffen zu können. Wir sind heute immer in Allgemeinsicherungsreflexen und Gremienentscheidungen. Aber Gremienentscheidungen sind gefährlich, weil sie eigentlich fast nur mehrheitsfähige Lösungen zulassen und die sind nicht immer die, die jetzt wirklich zur nächsten Disruption führen.

Herzlichen Dank, Herr Prof. Schuh, für dieses spannende Gespräch.

Prof. Schuh war Speaker des INDUSTRY.forward Summits 2018. Unser Video-Interview führte Christian Vilsbeck, Managing Editor des Fachmagzins A&D am 7. Juni 2018 während des INDUSTRY.forward Summits in Berlin.