Dr. Kegel

Interview mit Digitalisierungsexperte Dr. Gunther Kegel: „Es braucht kein neues Geschäftsmodell, sondern das Alte digitalisiert.“

Auf dem Weg in die Digitalisierung zeigt sich Deutschlands Industrie bislang erfolgreich. Die damit verbundenen Prozesse dauern aber noch zu lang. Dr. Gunther Kegel leitet als CEO von Pepperl+Fuchs das Unternehmen in die digitalisierte Zukunft. Und er sieht ganz klar als Challenge: „Deutschland 4.0 muss sich bei der schnellen Digitalisierung beweisen“.

publish-industry: Herr Dr. Kegel, warum bewegt sich Ihrer Meinung nach die deutsche Industrie in Sachen Digitalisierung zu langsam?

Dr. Kegel: Ich glaube, wir bewegen uns in der eigenen Wahrnehmung zu langsam. Wir erkennen tagtäglich im eigenen Unternehmen, wie viel Potenzial besteht. Ich finde aber, dass im Vergleich zu anderen Industrienationen unsere Bewegungsgeschwindigkeit eher schleppend ist. Die Möglichkeiten sind so vielfältig, dass man sehr bewusst auswählen muss, für welche der vielen Versprechungen Ressourcen eingesetzt werden, man Freiheitsgrade erlaubt und vielleicht etwas Neues etabliert. Es gilt abzuwägen, was umgesetzt werden muss und was noch nicht, weil es noch zu weit entfernt scheint. Es bestehen allerdings deutlich mehr Chancen und Möglichkeiten als wir umsetzen können. Ich habe bei uns intern das Gefühl, gut voranzukommen. Wir sehen aber bei jedem Schritt, dass sich die Möglichkeiten eher multiplizieren anstatt dass sich ein Ende abzeichnet. Für uns, gerade als Automatisierungsunternehmen, sind das tolle Szenarien und Voraussetzungen, in Zukunft erfolgreiche Geschäfte zu machen.

publish-industry: Müssen sich viele traditionelle deutsche Industrieunternehmen von der Vorstellung verabschieden, so wie früher alles selbst machen zu können?

Dr. Kegel: Im Umfeld von Industrie 4.0 und bei stark IT-getriebenen Gebieten ist das mit Sicherheit so. Dort fehlt uns nicht nur das Know-how, sondern vor allem auch die Ressourcen. Denn unsere Mitarbeiter sind eigentlich schon in den klassischen Projekten verplant und wir sind nicht in der Lage nochmal genauso viele Leute auf ganz neue Gebiete anzusetzen. Hier ist es also wichtig über Firmengrenzen und Größen hinweg zu kooperieren, beispielsweise mit Startups oder auch großen Unternehmen, und dort zu sehen wo Dinge zusammenpassen. Das müssen wir vielleicht noch ein bisschen üben, da es nicht gerade einfach ist, aber wir haben auch schon viele Projekte, wo das erfolgreich funktioniert. Das wird künftig noch mehr zusammenwachsen. Im Moment lernen wir erst einmal die Formen der Zusammenarbeit zu öffnen und anders als früher zu agieren.

publish-industry: Haben Sie Neoception gegründet, weil es in den eigenen Firmenstrukturen zu viel Widerstand für das New Business gegeben hätte?

Dr. Kegel: Im Gegenteil. Ich glaube wir hätten intern auch vielen Bereiche, Abteilungen oder Gruppen gehabt, die dieses Thema gerne bearbeitet hätten. Hier hätten wir aber immer das Problem gehabt, dass diese Bereiche an unseren sogenannten Herzschlagpunkten arbeiten, mit denen wir heute unser Geld verdienen und heute unsere Zukunft gestalten. Diese Mitarbeiter wollen wir ganz bewusst nicht in unseren digitale Projekten verplanen. Auf der anderen Seite würden die Kollegen natürlich auf unsere neuen Ressourcen auch für ihre Projekte zugreifen. Um das zu verhindern haben wir so eine Art Naturschutzgebiet ausgerufen. In diesem können sich diese Gründungen erst einmal bewegen. Das New Business hat fest zugeordnete Ressourcen und auch zugewiesene Verlustraten, mit welchen man ihnen sagt, dass sie erst einmal einen gewissen Betrag verbrauchen dürfen bis ein Nachweis der Geschäftsidee erforderlich ist. Das darf in anderen Bereichen, die das Hauptgeschäft ausmachen, natürlich nicht gestattet werden.

publish-industry: Braucht man für neue digitale Geschäftsmodelle auch Kooperation, um andere Märkte zu erschließen – wie Sie mit dem Start-up 3D.Aero zusammen mit Lufthansa vormachen?

Dr. Kegel: Ja, in diesem Fall war das tatsächlich eine Frage des Marktzugangs. Mit dem Tochterunternehmen VMT sind wir schon lange in der Automobilindustrie vertreten. Wir arbeiten dort an bildverarbeitungsgestützter Roboterführung im Bereich Rohbau zum Klappenverbau, Auftragen von Kleber und ähnlichem. Wir sind da sehr stark etabliert und können diese Technologie auch auf andere Bereiche transferieren. Bei dieser Arbeit haben wir gemerkt, dass der Markt in der Luftfahrtindustrie andere Zugangsmechanismen hat. Da ist man dann durch ein Joint Venture mit Lufthansa definitiv besser aufgestellt, denn sie kennen diese Marktmechanismen in- und auswendig. Lufthansa spannt hier außerdem einen unglaublich großen Bereich an möglichen Anwendungsszenarien auf, indem wir diese Technologien für uns nutzen können. Deshalb ist dieses Fifty-Fifty-Joint Venture auch genauso aufgeteilt. Wir sind zuständig für die Technologie und Lufthansa für die innovative Anwendung. Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut, wir konnten von Anfang an mit einem hohen Tempo arbeiten und schnell eine große Mannschaft aufbauen, um die vielen Projekte, die jetzt auf uns zukommen, auch hochqualitativ abarbeiten zu können.

publish-industry: Größere Unternehmen wie Pepperl+Fuchs haben die Manpower und finanziellen Spielraum, in digitale Lösungen und Start-ups zu investieren. Doch was raten Sie beispielsweise einem kleinen Maschinenbauer mit begrenzten Mitteln?

Dr. Kegel:  Ich glaube, dass gerade bei kleinen Maschinenbauern ein talentierter Mitarbeiter unglaublich große Fußabdrücke hinterlassen kann. Denn dieser kann mit einer deutlich höheren Geschwindigkeit an den digitalen Projekten arbeiten, als seine Kollegen an den mechanischen. Wenn Sie beispielsweise in einer klassischen mechanischen Konstruktion mit den entsprechenden Regeln der Werkstoffkunde unterwegs sind, dauern Zyklen der Veränderung Wochen, Monate oder sogar Jahre. Hier kann die Digitalisierung viel schneller sein. Das heißt, auch ein kleiner, mittelständischer Maschinenbauer mit deutlich weniger Ressourcen kann seine Maschinen digitalisieren, Konnektivität herstellen und Datenformate austauschen. So kann er ein neues Geschäftsmodell mit ganz anderen Businessstrukturen erarbeiten. Ich weiß nicht ob das immer und überall möglich ist, aber diese verkrampfte Suche nach ganz neuen, möglichst auch disruptiven Geschäftsmodellen, ist nicht notwendig. Es reicht, wenn ein Unternehmen, welches seine Arbeit schon immer gut gemacht hat, diese auch im digitalen Zeitalter weiterhin gut digital machen kann. Dazu braucht es kein neues Geschäftsmodell, sondern nur das Alte digitalisiert. Diese Vorgehensweise kann durchaus für viele der kleineren Mittelständler eine Strategie sein.

Herzlichen Dank, Herr Dr. Kegel, für dieses spannende Gespräch.

Dr. Kegel war Speaker des INDUSTRY.forward Summits 2018. Unser Interview führte Christian Vilsbeck, Managing Editor des Fachmagzins A&D am 7. Juni 2018 während des INDUSTRY.forward Summits in Berlin.